Information von Väter für Kinder e.V.:

Rezension: Aus der Sicht der betroffenen Kinder gibt es keine "gute Scheidung".

Elizabeth Marquardt:
Between Two Worlds. The Inner Lives of Children of Divorce. Based on a pioneering new national study.

 With a Foreword by Judith Wallerstein

Crown Publishers, New York, 2005

ISBN 0-307-23710-9, 255 Seiten. (Preis etwa 21-24€)

Die Kernaussage dieses Buches und der Untersuchung aus der sie hervorging ist exakt dieselbe wie die des Buches von Wallerstein & Blakeslee, The unexpected Legacy of Divorce (deutsch:Scheidungsfolgen - Die Kinder tragen die Last.), und deren Untersuchung. Das wird auch voll durch das fast 7 seitige Vorwort der berühmten Scheidungsforscherin (oder einer der ,,zwei berühmtesten", wie es im Vorwort des ebenfalls renommierten Soziologen, Familienforschers und Mitautors der Basisstudie, Norval Glenn, heißt) bestätigt. Diese Aussage ist, dass von Trennung oder Scheidung der Eltern betroffene Kinder, auch bei einer sogenannten "guten Scheidung", d.h. ohne größere, andauernde Konflikte nach der Trennung und regelmässigem, fortgesetzen Kontakt zu beiden Elternteilen, ihr ganzes Leben lang erheblich belastet sind, anders als selbst Kinder aus einer zwar unglücklichen, aber nicht besonders konfliktreichen, intakt gebliebenen Verbindung. Auch wenn beide Autorinnen Scheidung als letzten Ausweg aus einer extrem konfliktreichen, gewalttätigen, oder von Alkoholismus etc. stark beinträchtigen Ehe selbstverständlich anerkennen, appellieren sie sehr eindringlich an alle Eltern und die Gesellschaft alles zu versuchen, um Ehen mit minderjährigen Kindern aufrecht erhalten zu können. Zwei Drittel der Scheidungen beenden nach einer großen amerikanischen Studie (Paul R. Amato & Alan Booth, A Generation at Risk: Growing up in an Era of Family Upheaval, Harvard University Press, 1997, S. 220) Ehen mit niedrigem Konfliktniveau, ohne ernstes Gefährdungspotential, nur weil häufig auch nur ein Elternteil sie als unerfüllt, unglücklich empfindet. In vielen dieser Verbindungen könnten diese Probleme mit der Zeit und ev. zusätzlicher Hilfestellung überwunden werden. Den von der Trennung solcher Niedrigkonfliktverbindungen betroffenen Kindern geht es nach dieser ersten Konfrontation mit einem wirklich ernsten Problem und dem fast immer unwiderruflichen Zusammenbrechen ihrer Welt jedenfalls bedeutend schlechter. Nicht selten erleben sie dieses Zusammenbrechen sogar mehrmals, weil Wiederheiraten und besonders nichteheliche Verbindungen um einiges instabiler als Erstehen sind ( In den USA erleben drei Viertel der nichtehelichen Kinder die Trennung ihrer Eltern bevor sie 16 sind, vgl. S. 187, und Anmerkung dazu, S. 241).

 Im Vergleich zu der Langzeitstudie von Wallerstein et al ist der Bericht von Elizabeth Marquardt über die seelische Not der Kinder aus geschiedenen Ehen und ihr Appell an alle Eltern und die Gesellschaft noch um einiges eindringlicher, weil sie selbst "Scheidungskind" ist. Ihre Eltern trennten sich als sie zwei Jahre alt war. Sie schrieb dieses Buch ganz bewusst in der Ich Form, wenn sie von ihren persönlichen Empfindungen berichtet und benützt stets "wir", wenn sie allgemeiner über Scheidungskinder spricht. Der Text ist aber keineswegs autobiographisch, sondern stellt überwiegend erstmals die Ergebnisse aus ihrer vierjährigen Studie (unter Mitwirkung von Prof. Norvall Glenn, Univ, Texas at Austin), "National Survey on the Moral and Spiritual Lives of Children of Divorce" dar. Mehrstündige Interviews wurden zunächst von der Autorin mit 71 jungen und erfolgreichen Universitätsabsolventen, wie sie selbst [jetzt 35, mit Master Diplomen in International Relations und Theologie von der (Elite) University of Chicago, seit 8 Jahren glücklich verheiratet, 2 kleine Kinder], durchgeführt. Zitate daraus sind laufend in den Text eingeflochten. Die Ergebnisse dieser Interviews veranlassten sie zu einer Befragung per Telefon von 1500 weiteren zufällig ausgewählten Personen aus der selben Altersgruppe, zwischen 18 bis 35, die wie die persönlichen Interviewpartner zu jeweils einer Hälfte aus einer Ehe stammten die vor ihrem 14ten Lebensjahr geschieden worden war, während die andere Hälfte der Gruppe aus intakt gebliebenen Ehen stammte. Der Unterschied war nur, dass bei der großen nationalen Befragung junge Erwachsene unterschiedlichen Bildungsniveaus berücksichtigt wurden. Diese Unterscheidung war der Autorin wichtig, weil ihrem Gefühl nach die Behauptung, dass Scheidung das Leben der Kinder "ruiniert" zu simplistisch war und sie an den Langzeitproblemen derer interessiert waren, die wie sie selbst erfolgreich aus dieser Krise entwachsen sind. Eine sehr bedeutende Einschränkung dieser Untersuchung ist, obwohl zwischen "guter" und "schlechter" Scheidung, ohne allerdings genauere Definition, in den Ergebnissen der Befragung unterschieden wird, dass nur Personen aufgenommen, die bis zum achtzehnten Lebensjahr ihre beiden Eltern nach deren Trennung zumindest einmal im Jahr gesehen haben und auch nicht vorher in eine eigene Wohnung zogen, also bis dahin bei einem Elternteil, oder nach den in den USA weit verbreiteten Wechselmodell (joint physical custody) abwechselnd bei ihren Eltern wohnten. Wenn man diesen Ergebnissen auch eine Befragung von jungen Erwachsenen, die hohem Konfliktpotential auch nach der Trennung ausgesetzt waren, mit  Eltern-Kinder-Entfremdung oder gar vollständigem Kontaktabbruch zu einem Elternteil gegenüber stellen würde, wären die Antworten auf viele der 125 Fragen wahrscheinlich noch um einiges negativer als bei nur "schlechter" Scheidung. Die Autorin hofft, auch noch eine solche Untersuchung durchführen zu können. Anders als bei streng wissenschaftlichen Publikationen üblich, werden Literaturzitate und die Ergebnisse der Untersuchung nicht im laufenden Text in Form von Fußnoten oder Tabellen dargestellt, sondern nur dem Inhalt nach, was aber den Lesefluss erleichtert. Literturangaben passend zu den jeweiligen Textstellen, den Fragenkatatog und die dazu gehörigen Ergebnistabellen findet man jedoch im Anhang des Buches.

Die Autorin beschreibt die Lebenssituation von Scheidungskindern bildlich mit dem was sie einmal als Kind überhörte: wie ein Fußball hin und her gekickt zu werden. Was sie damit meint ist, dass, anders als in der Ehezeit der Eltern, in der sie selbst bemüht sind einen Ausgleich für ihre Unterschiede im Konsens zu finden, nach der Trennung diese Aufgabe unvermittelt dem Kind überantwortet wird, während die Eltern wie zwei Pole immer weiter auseinander driften. Das Kind findet dann zwei völlig unterschiedliche Umgebungen und Lebensauffassungen vor, an die es sich jeweils so weit anpassen soll, dass es den jeweiligen Elternteil nicht einmal an den anderen Elternteil erinnert und es auch die jeweiligen "Geheimnisse" seiner Eltern streng bewahren soll. Zu Hause ist das Kind dann bestenfalls dort am ehesten wo sich die meisten seiner Freunde oder anderer Bezugspersonen (auch Stiefelternteile oft eingeschlossen) und die meisten seiner persönlichen Sachen befinden.

Diese Situation, wie sie auch Wallerstein & Blakeslee ausführlich beschreiben, trifft natürlich im besonderen Maße auf das in den USA weitgehend praktizierte Wechselmodell zu, bei dem, wegen der dortigen hohen Mobilität, nicht selten schon fünfjährige Kinder unbegleitete, mehrstündige Flugreisen unternehmen müssen (Dies obwohl es in den meisten Staaten der USA, ganz anders als etwa in Deutschland, Statuten gibt, die die einfache "Entsorgung" des anderen Elternteils durch einen nicht zwingend notwendigen Umzug mit den Kindern an einen möglichst entfernten Ort verhindern sollen.) Diese unbestreitbaren Probleme sollten aber die Ideologen/Ideologinnen in Deutschland einer sog. "Ein-Eltern-Familie", der Alleinsorge ohne regelmäßigen Umgang mit dem anderen Elternteil, oder gar einer "Neu-Beelterung" nicht wieder, ähnlich wie die Untersuchung von Wallerstein, für ihre Thesen missbrauchen, in völliger Abkehrung von den Kernaussagen dieser Untersuchungen (wie sie Judith Wallerstein nicht nur in öffentlichen Interviews, sondern auch in einem privaten Kontakt noch einmal deutlich machte). Dafür ist in den beiden Arbeiten keinerlei direkte Unterstützung zu finden, ganz im Gegenteil. Die Kernaussage dieser Untersuchungen ist vielmehr, dass es keine für alle Fälle passende "Patentlösung" gibt, die die psychischen Langzeitprobleme von Scheidungskindern verhindert oder auch nur möglichst gering hält. Die "gute Scheidung" mit vernachlässigbaren Langzeitfolgen für die Kinder, oder gar wie das nicht selten in verschiedenen Scheidungsratgebern dargestellt wurde, sogar der Bereicherung des Kindes aus seiner Erfahrung mit zwei unterschiedlichen "Zu Hause", z. B. eines am Lande und eines in der Stadt, ist ein gefährlicher Mythos, gegen den sich gerade diese davon selbst betroffene Autorin besonders vehement wendet. Sie wendet sich auch, stärker als dies Judith Wallerstein schon tat, gegen eine rigide, allein am Elternrecht orientierte Sorge / Umgangsregelung, besonders wenn dies, wie nicht selten in den USA, den Transport des Kindes, fast wie einer Sache, über große Entfernungen und in eine jeweils völlig andere Umgebung bedeutet. Die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes müssten Priorität haben. Die äußerst schwierige Frage ist nur, wann das Kind dazu selbst und unbeeinflusst in der Lage ist, diesen Fragen in völliger Übereinstimmung mit einem tatsächlichen und langfristigen Kindeswohl Ausdruck zu verleihen und ob die Befragung des Kindes diese Objektivität auch sicher stellt. Viele der psychischen Scheidungsfolgen, wie Sehnsucht nach dem jeweils abwesenden Elternteil, geringeres allgemeines Sicherheitsgefühl und Selbstwertgefühl oder Schwierigkeiten bei späteren, eigenen Partnerschaften, stellen sich aber bei praktisch jedem Arrangement nach einer Trennung mit erhöhter Wahrscheinlichkeit ein, weil einfach die Geborgenheit und der Gleichklang der Werte und Moralvorstellungen den ein intaktes Elternhaus liefert fehlt. Ein Scheidungskind muss schon sehr früh, zu früh, versuchen sich wie ein "kleiner Erwachsener" ganz auf seine eigenen Vorstellungen zu stützen. Ernste Konflikte zwischen den Eltern nach der Trennung, Umgangsvereitelung, Dämonisierung des abwesenden Elternteils (und damit eines Teil des Kindes) und Eltern-Kind-Entfremdung, oder gar vollständige Ausgrenzung eines Elternteiles verstärken die Probleme (deutliche Worte dazu auf Seite 187 des Buches). Weitere quantitative Untersuchungen mit hinreichendem Umfang zu dieser Frage sind aber sicher sehr wünschenwert (Eine neue Querschnittsstudie mit einer Befragung von 40 von Eltern-Kind-Entfremdung betroffenen, jetzt Erwachsenen wurde von Amy Baker, 2005, 2006 durchgeführt, vgl. auch ihr 2007 erschienenes Buch  Adult Children of Parental Alienation Syndrome. Breaking the Ties that Bind. )       

Wie wir schon bei der Rezension des Buches von Wallerstein & Blakeslee deutlich machten, sollte man bei der Übertragung der Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen auf Deutschland auch die immer noch sehr unterschiedlichen Lebensverhältnise und Traditionen berücksichtigen. Das betrifft nicht nur die Rechtstradition, die sozialen Verhältnisse nach einer Trennung/Scheidung (vgl.dazu das Zitat aus der Korrespondenz mit einer der führenden U.S. Autoritäten), die Mobilität, sondern auch die Religiösität. Allein schon der Titel der zu Grunde liegenden Untersuchung wäre bei uns vermutlich undenkbar für eine wissenschaftliche Arbeit über Scheidungskinder. Dem Verhältnis von Scheidungskindern zum Glauben an einen Gott sind zahlreiche Fragen und auch ein langes Kapitel (Kap. 7, S. 135-168), neben weiteren Stellen, im Buch gewidmet. Die klare Schlussfolgerung, dass auch eine noch so "gute" Trennung / Scheidung der Eltern lebenslange psychische Spuren hinterlässt, selbst wenn es den meisten Kindern, trotz deutlich erhöhtem Risiko gelingt, gravierende Probleme zu überwinden bzw. ganz zu vermeiden und ein erfolgreiches, glückliches Leben zu führen (vgl. dazu Resilienzforschung, z.B. an Hand der berühmten, allerdings nicht scheidungsspezifischen Kauai Studie von Werner et al.), gilt aber selbstverständlich uneingeschränkt auch für Deutschland und stellt ein ernstes nationales Problem dar, ganz ähnlich wie in den USA, wo schon ein Viertel der heutigen Jugendlichen im Alter von 18- 35 von Scheidung betroffen sind und die Hälfte der Ehen, mit jährlich über einer Million neuer "Scheidungskinder".

Ein wirklich lesenswertes, interessantes und auch persönlich berührendes Buch, und das vermutlich im besonderen Maße für jemanden der selbst als Kind von Trennung/Scheidung betroffen war.

Die Untersuchung und das Buch haben in den USA für enormes Interesse gesorgt, mit Berichten in allen national wichtigen Zeitungen und TV Shows, weil sie so radikal mit einer Tradition bricht, die die Autorin sehr verärgert "happy talk" über die "gute" Scheidung nennt und die sich im Gefolge der Aufhebung des Verschuldensprinzips ab 1969 und der dann stetig steigenden Scheidungszahlen einstellte, bzw. möglicherweise nicht unwesentlich zu dieser Steigerung beitrug. Bis dahin war in meisten Staaten der USA, besonders im Osten, wie etwa New York, eine Scheidung überhaupt nur unter besonders gravierenden Umständen, wie schwere Geisteskrankheit oder Ehebruch möglich gewesen. Zu diesen strikten Regelungen will auch in den USA kein signifikanter Anteil der Bevölkerung zurückkehren. Es gibt jedoch ein wachsendes "marriage movement" in der Bevölkerung, unterstützt auch durch Religionsgemeinschaften und die derzeitige konservative Regierungspartei, die sich für dauerhafte Ehen einsetzt, selbst wenn sie statt "gut" nur "gut genug" sein sollten.   

   
Link zu weiteren Informationen über die Autorin, Buchbesprechungen, Buchauszügen und den vollständigen Daten der Befragung. "Scheidungskinder" und Kinder aus intakt gebliebenen Ehen gleichermaßen, gleich welchen jetzigen Alters, werden es wahrscheinlich interessant finden den Fragenkatalog (Anhang B) auch für sich selbst zu beantworten (hinreichende Sprachkenntnisse vorausgesetzt).

 Zahlreiche weitere Links zu Buchbesprechungen etc. sind ebenfalls im Internet zu finden.  

Rezension des Buches Between Two Worlds. The Inner Lives of Children of Divorce
Gute Scheidung, schlechte Scheidung. Auch ohne Schlammschlacht der sich trennenden Eltern sind meist die Kinder die Leidtragenden. Von Christine Brinck.
Süddeutsche Zeitung Nr. 23 28/29. Januar 2006, Feuilleton, Seite 17. Wie immer bei dieser Autorin, absolut lesenswert.

Nachtrag Oktober 2007: Soeben ist eine deutsche Übersetzung dieses Buches erschienen als: ,,Kind sein zwischen zwei Welten. Was im Inneren von Kindern geschiedener Eltern vorgeht" (übersetzt von Theo Kierdorf & Hildegard Höhr), broschiert, 250 Seiten.  Verlag: Junfermann; Auflage: 1 (2007).  ISBN-10: 3873876736, ISBN-13: 978-3873876736, Preis: EUR 19,90.

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