KIND - FAMILIE - MENSCHENRECHTE

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Nummer 7/96
verantwortlich i. S. d. P.: Dr. A. Schneider / Vorsitzender

Rituale der Umgangsvereitelung bei getrenntlebenden oder geschiedenen Eltern

- Eine psychologische Studie zur elterlichen Verantwortung -

von Prof. Dr. Wolfgang Klenner

FamRZ 1995, S. 1529-1535
Auf Tagungen zum Kindschaftsrecht ebenso wie auf Zusammenkünften Betroffener zeigt sich immer wieder: Das größte Problem bei Trennung und Scheidung besteht in der Aufrechterhaltung der Beziehungen der Kinder zum den getrennt lebenden Elternteilen. Diese - meistens die Väter - begegnen bei ihren Bemühungen oft so großen Schwierigkeiten, daß sie nach einiger Zeit aufgeben. Nach einem Jahr hat über die Hälfte von ihnen den Kontakt zu ihren Kindern verloren. Keine andere Scheidungsfolge bewirkt mehr Leid, Verzweiflung, tiefe menschliche Not als der Verlust der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Das Problem der Umgangsvereitelung durch den Sorgeberechtigten hat einen Umfang angenommen, über den man angesichts der schädlichen Folgen für das Wohl der Kinder nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen kann.

Es gibt keine gründlichere Analyse des Geschehens als die Arbeit von Klenner, über die wir hier zusammenfassend berichten wollen. Der Verfasser ist einer der angesehensten psychologischen Sachverständigen in familienrechtlichen und vormundschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen. Allen Betroffenen und Interessierten sei empfohlen, seinen Aufsatz im Original nachzulesen.

Klenner sieht den Ausgangspunkt in den Regelungen des Familienrechts von 1977, nach dem es zwei Klassen getrennt lebender oder geschiedener Eltern gibt: Sorgeberechtigte und Nichtsorgeberechtigte, im Empfinden der Betroffenen Gewinner und Verlierer. Das Problem nimmt seinen Anfang, wenn ein Elternteil bei der Trennung das Kind einfach mitnimmt - meistens ohne Unrechtsbewußtsein. Der Trennung folgt die Sprachlosigkeit zwischen den Eltern, und von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Umgangsvereitelung. Wenn Kindesmitnahme, Sprachlosigkeit und Willkür des Sorgeberechtigten nicht als erste Glieder einer Handlungskette erkannt und offiziell geduldet werden, dann ist eine Umkehr nur noch mit fremder Hilfe möglich. Das Motiv für die Umgangsvereitelung ist meistens weniger die Absicht, den ungeliebten Elternteil zu demütigen, sondern vielmehr die Furcht, das Kind könne abtrünnig werden und sich dem anderen Elternteil zuwenden.

Der sich "im guten Recht" wähnende sorgeberechtigte Elternteil beginnt, jegliche Kontakte zum anderen Elternteil wie Telefongespräche, Briefe oder Geschenke zu unterbinden. Die gegenüber Gerichten, Jugendämtern und Gutachtern vorgebrachten Begründungen folgen seit 1977 einem fast stereotypen Verhaltensmuster, das damit den Charakter von Ritualen angenommen hat:

- "Das Kind soll endlich zur Ruhe kommen."
- "Das Kind will nicht."
- "Der andere Elternteil hat das Kind sexuell mißbraucht."

Tatsächlich kommt ein Kind, das keinen Umgang mit dem anderen Elternteil hat, zur Ruhe. Das wird dann als Bestätigung für die Richtigkeit der Umgangsvereitelung angesehen. Aber es ist eine gefährliche, seine Entwicklung gefährdende Ruhe.

Hat das Ruhe-Argument erst einmal zur Umgangsvereitelung geführt und ist damit eine Entfremdung zum getrennt lebenden Elternteil eingetreten, folgt als nächstes das Argument "...aber das Kind will ja nicht". Hier unterscheidet Klenner 4 Fälle: Das Kind soll nicht, es kann nicht, es will wirklich nicht, es darf nicht. Im ersten Fall macht sich der umgangsverweigernde Elternteil zum Sprachrohr des Kindes, während dieses gar nicht erst in Erscheinung tritt oder alles schweigend über sich ergehen läßt. Im zweiten Fall verfügt das Kind im Spannungsfeld der Eltern nicht über freien Willen. Es hat schon einen Elternteil verloren, ist auf den anderen auf Gedeih und Verderb angewiesen und will ihn nicht auch noch verlieren. Dessen Ablehnung des besuchsberechtigten Elternteils überträgt sich gleichsam "durch die Haut" auf das Kind. Die offene Ablehnung des Besuchsberechtigten durch den Sorgeberechtigten kommt einer Gehirnwäsche des Kindes gleich. Nur selten will ein Kind wirklich nicht. Wo es doch soweit gekommen ist, äußert sich seine Ablehnung nicht immer in Worten, sondern manchmal auch in psychosomatischen Reaktionen. Auch daß das Kind nicht darf ist selten. Hierbei ist sein persönlicher Umgang mit dem anderen Elternteil durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen worden.

Der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs wird meistens erst dann erhoben, wenn die anderen Argumente nicht zu einer Einschränkung oder zu einem Ausschluß des Umgangsrechts geführt haben.

Ist es erst einmal zur Umgangsvereitelung gekommen, gibt es kaum noch ein Zurück. Alle Bemühungen um eine Wiederaufnahme der persönlichen Beziehungen sind zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht gelingt, die Eltern dazu zu bringen, wieder miteinander zu reden. Dazu empfiehlt Klenner, daß Fachleute die Eltern an einen Tisch bringen und versuchen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden.

Auf noch eines weist Klenner hin: Es bedarf keiner besonderen Professionalität des Richters, um den Eltern klarzumachen, daß Elternverantwortung auch darin besteht, den Kindern den Weg zum getrennt lebenden Elternteil zu öffnen. Er mahnt einen "Paradigmenwechsel" an, der vom "Kampf ums Kind" zu einer Betrachtung "vom Kinde her" führt. Dann verlöre auch das Wort von den Gewinnern und Verlierern seine Bedeutung.
 

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