Information von Väter für Kinder e.V.:

Buchhinweis:

Richard A. Gardner: Das Elterliche Entfremdungssyndrom (Parental Alienation Syndrome/PAS)

Anregungen für gerichtliche Sorge- und Umgangsregelungen. Eine empirische Untersuchung

aus dem Amerikanischen von G. H. Broxton-Price, herausgegeben von Wilfrid von Boch-Galhau

VWB - Verlag für Wissenschaft und Bildung, ISBN 3-86135-117-X  (2002).

Die Originalarbeit "Should courts order PAS-children to visit/reside with the alienated parent? A Follow-up Study " (Deutsche Übersetzung: "Sollten Gerichte anordnen, dass an PAS leidende Kinder den entfremdeten Elternteil besuchen bzw. bei ihm wohnen?" Eine Verlaufsstudie) erschien erstmals in: "American Joumal of Forensic Psychology" (2001); 19 (3): 61 - 106. Diese Zeitschrift wird vom American College of Forensic Psychology, PO Box 5870, Balboa Island, CA 92662 USA; web site: www.forensicpsychology.org herausgegeben.

Der Herausgeber und Facharzt für psychotherapeutische Medizin, W. von Boch-Galhau, hat die Übersetzung des Aufsatzes durch eine auf deutsche Verhältnisse abgestimmte sehr nützliche Einleitung und ein entsprechendes, umfangreiches Literaturverzeichnis ergänzt. Damit ist ein Buch entstanden, das bei den professionellen deutschen Scheidungsbegleitern (psychologischen Sachverständigen, Psychotherapeuten, Anwälten, Richter) besondere Beachtung finden sollte, weil der Aufsatz vor allem, statt bloßer Theorie, auf praktische Wege zum Umgang mit dem Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation Syndrome - PAS) hinweist. Selbstverständlich treten die charakteristischen Verhaltensmuster auch hier in gleicher Weise auf und sind deshalb auch vielfach schon längst bekannt. Aber ganz unabhängig davon, ob man deshalb eine Zusammenfassung und Kategorisierung, wie sie der Kinderpsychiater R. A. Gardner auf Grund der Erfahrungen in seiner Praxis gegeben hat, etwa als ,,alten Wein in neuen Schläuchen" oder ähnlich bezeichnet, und beliebige weitere theoretische Einwände erhebt, in Deutschland fehlt es auch heute noch in sehr gravierender Weise an praktischen, wirksamen Methoden zum Umgang mit diesem Phänomen. Das vor allem macht die Lektüre dieses Buchs sehr deutlich.

Auf diese Mängel, trotz des an sich sehr fortschrittlichen neuen Kindschaftsrechts, das explizit die Interessen der Kinder und ihr Recht auf beide Eltern in den Vordergrund stellt, haben wir schon oft auf diesen Seiten hingewiesen. Selbstverständlich ist auch das amerikanische System nicht perfekt, und R. A. Gardner hält mit Kritik an seinen Fachkollegen und den Gerichten keineswegs zurück. Obwohl es, ganz anders als in Deutschland, in vielen Staaten der USA klare Vorschriften gibt, nach denen Verfahren mit minderjährigen Kindern zu beschleunigen sind, z. T. mit strikten Fristen, um dem besonderen kindlichem Zeitempfinden Rechnung zu tragen, beklagt auch er, dass Gerichtsverfahren oft zu lange dauern, und damit erheblich zu einer weiteren Intensivierung der Eltern-Kind-Entfremdung beitragen, und das nicht nur, weil dann mehr Gelegenheit zur Programmierung (die nicht einmal bewußt erfolgen muss) des Kindes gegen den ausgegrenzten Elternteil besteht. Ohne jede Fristsetzung werden bei uns Entscheidungen sogar allzu oft so lange verzögert, oder völlig sanktionslos vom betreffenden Elternteil ignoriert, bis sich die "Streitsache" rein juristisch gesehen von selbst erledigt hat, weil dann die Entfremdung nicht mehr rückgängig zu machen ist (point of no return) oder das Kind Volljährigkeit erreicht hat. Die verheerenden psychischen Folgen für das Kind reichen aber dann meist bis weit in das gesamte Erwachsenenleben. Auch das ist aus dieser Studie und den anderen empirischen Studien die Gardner anführt, aber auch aus der vom Herausgeber zitierten deutschen Fachliteratur klar herauszulesen (vgl. dazu insbes. auch den Aufsatz des Herausgebers in S. Bäuerle, H. Moll-Strobel ,,Eltern sägen ihr Kind entzwei. Trennungserfahrungen und Entfremdung von einem Elternteil" , 2001).

Selbstverständlich kommt es nicht nur darauf an, dass Entscheidungen dem kindlichen Zeitempfinden entsprechend zügig erfolgen, sondern auch dass sie der Situation möglichst gut angepasst sind. Da spielt natürlich zunächst die Kindesanhörung bei Gericht eine wichtige Rolle. Gerade bei konfliktreicher Scheidung, mit möglicherweise erheblichem Einfluss auf das Kind, erfordert die Feststellung des wahren Kindeswillens besonders viel Erfahrung, aber auch Zeit. Obwohl man eigentlich davon ausgehen sollte, dass Kinder normalerweise beide Eltern lieben (Fälle tatsächlicher und nicht nur behaupteter, gravierender Kindesmisshandlung oder von Kindesmissbrauch sind hier selbstverständlich ausgeschlossen), wird allzu oft übersehen, dass Ablehnung eines Elternteils (und bedingungslose Zuwendung zum anderen), wie sie sich in einer kurzen Anhörung äußern mag, durch erheblichen Druck (und das gerade vor einer solchen Anhörung!) und Loyalitätskonflikte entstanden sein kann. Den wahren Kindeswillen herauszufinden erfordert in diesen Fällen meist eine umfangreiche Diagnostik des gesamten Familienverbandes, mit einer Beobachtung der Wechselwirkung seiner Mitglieder in allen Kombinationen, selbstverständlich unter Einschluss auch des (ausgegrenzten, abgelehnten) Nicht-Wohnelternteils. (Es werden uns immer noch Fälle berichtet, in den dieser nicht einbezogen wurde).

Verständlicherweise scheuen Gerichte überall in der Welt vor gravierenden Sanktionen (wie sie, größtenteils wenigstens, auch die deutsche Gesetzgebung ermöglichen würde) in Kindschaftsrechtsverfahren zurück, weil unmittelbare Auswirkungen auf das Kind befürchtet werden. Man muss aber unbedingt die langfristigen Folgen auch einer emotionalen Kindesmisshandlung, wie sie einem schwerwiegenden Parental Alienation Syndrome zu Grunde liegt, sehen. Sicher sind Geldstrafen, Gefängnis und Entzug des Sorgerechts oder Aufenthaltsbestimmungsrechts letzte, drastische Massnahmen. Auch Gardner ist hier sehr zurückhaltend, betont aber, dass solche Massnahmen bei besonders hartnäckigen Fällen der Umgangsvereitelung und Programmierung (Kategorie II und III seiner Klassifizierung) gegen den anderen Elternteil unumgänglich sind und möglichst bald durchgeführt werden sollten. Mit bloßen Appellen sei hier nichts mehr zu erreichen, auch nicht mit der bloßen Androhung von Sanktionen, wenn nicht damit gerechnet werden muss, dass sie auch wirklich so durchgeführt werden. Seine empirische Studie, die sich ausschließlich auf Fälle bezieht, die seiner Meinung nach gravierend genug waren, um den Wechsel des Kindes zum anderen Elternteil zu empfehlen, scheint ihm recht zu geben, in Übereinstimmung auch mit anderen empirischen Studien. (In besonders gravierenden Fällen, Kategorie III, in denen die Ablehnung dieses Elternteils durch das Kind schon zu intensiv geworden ist, empfiehlt er vorübergehende Drittunterbringung mit entsprechender Therapie.) In allen 22 Fällen aus den 99 im Aufsatz skizzierten, in denen das Gericht der Empfehlung zum Wechsel des Aufenthaltsortes folgte, löste sich die Entfremdung auf, während dies bei den 77 Fällen in denen das Kind beim entfremdenden Elternteil verblieb, nur bei einem ganz geringen Prozentsatz (9.1 %) eine allmähliche Verbesserung mit zunehmenden Alter des Kindes eintrat, bei den anderen sich die Situation aber sogar verschlechterte.

Richtig bedrückend und völlig unverständlich ist die deutsche Praxis, wenn man immer wieder liest, wie selbstverständlich Gerichte in den USA bei hochgradigen Konflikten um das Kind eine Familientherapie anordnen, und diese auch eng überwachen. Obwohl Gardner sich zum Teil sogar darüber beklagt, dass Gerichte zu häufig eine Therapie anordnen, statt die gerade besprochenen, strikteren Massnahmen zu ergreifen, die er als erforderlich erachtete, betont auch er die unbedingte Notwendigkeit gerichtlich angeordneter Therapie, weil in PAS Fällen mit Einsicht des entfremdenden Elternteils nicht zu rechnen ist und sogar vielfach von einer Persönlichkeitsstörung des ausgrenzenden Elternteils ausgegangen werden muss (vgl. dazu auch die Hinweise in der Einleitung des Herausgebers). Nur das Gericht vermag deshalb eine solche Therapie auch durchzusetzen. Gardner betont aber auch, dass die Therapie bei PAS anders verlaufen muss als die traditionellen Methoden, die auf Freiwilligkeit des Patienten beruhen. Auch der Therapeut wird zu Drohungen greifen müssen, wie unkooperatives Verhalten sofort dem Gericht zu melden, etc. Zu den Massnahmen, die zunächst versucht werden sollten, auch um zu vermeiden, dass es überhaupt zu einem schwerwiegenden Stadium kommt, gehört selbstverständlich auch begleiteter Umgang, statt Umgang auszusetzen, weil das Kind ,,zur Ruhe kommen muss". In gravierenden Fällen seien aber solche Massnahmen, ähnlich wie bei der ständigen Rückkehr eines Sektenmitglieds zu seinem Sektenführer, wirkungslos. Dann müsse eben das Kind vom entfremdenden Elternteil entfernt werden.

In seinem Schlusswort zeigt sich Gardner sehr berührt vom Leid der ausgegrenzten Elternteile, das er so nicht erwartet hatte (auch den entfremdenden Elternteil zum langfristigen Verlauf zu befragen, erwies sich weder als möglich, noch seiner Erfahrung nach zur Wahrheitsfindung ergiebig oder sinnvoll. Solche Elternteile würden auch vor Gericht ungehemmt lügen, und das sogar ungestraft.) Ob dieses Leid schlimmer sei, als der Tod eines Kindes, wie er meint, weil dieser endgültig sei und man sich darin unweigerlich fügen müsse, mag dahin gestellt bleiben, solange man das nicht selbst erlebt hat. Anlass zur Hoffnung ausgegrenzter Elternteile, dass sich das Problem mit zunehmendem Alter des Kindes von selbst auflöst, gibt dieser Aufsatz aber leider nicht. Deshalb ist Handlung (Intervention) in einem möglichst frühem Stadium angesagt.

Zum Schluss sei noch eine kleine Bemerkung zu einigen Merkwürdigkeiten der Übersetzung des Aufsatzes erlaubt, die hoffentlich der Klarstellung dienen, aber im übrigen den Wert der Arbeit nicht schmälern. Übersetzer haben immer damit zu kämpfen, inwieweit sie von einer wörtlichen Übertragung abweichen, um sich den sprachlichen und kulturellen Gepflogenheiten des Ziellandes anzupassen. Während z. B. die wörtliche Übersetzung von "social worker" als Sozialarbeiter/in noch problemlos ist, erscheint uns die von "mental health worker", oder wie vorliegend von "mental health professionals" als "Fachleute für psychische Gesundheit" doch etwas ungewohnt, Gemeint sind hier, je nach Zusammenhang, psychologische oder psychiatrische Sachverständige, oder auch Psychotherapeuten / Psychotherapeutinnen. "Supervised visitation" ( heutzutage eigentlich besser "parenting time" statt "visitation") etwa, wäre sicher eindeutig und problemlos mit dem bei uns allgemein üblichen Begriff "begleiteter Umgang", statt "supervidierter Umgang" zu übersetzen gewesen, etc.

Der amerikanische Originaltext von  Should Courts Order PAS Children to Visit/Reside with the Alienated Parent? A Follow-up Study ist übrigens auch auf den Webseiten von R. A. Gardner zu finden, neben umfangreicher weiterer Literatur zum Parental Alienation Syndrome, Gerichtsurteilen etc. Bei entsprechender Sprachkenntnis (und möglichst auch Vertrautheit mit den kulturellen Eigenheiten, Rechtsnormen etc.) ist unbedingt, statt einer knappen Zusammenfassung, auch das Studium gesamter Gerichtsentscheidungen zu empfehlen, die zum Teil ebenfalls im Internet zu finden sind, und aus denen wir von Zeit zu Zeit auch auf unseren Webseiten ausführlich berichten, auch um auf erhebliche Unterschiede in der Verfahrensweise hinzuweisen.

Umschlagtext: Die Frage, ob Kinder, die unter dem Syndrom der Eltern-Entfremdung (Parental Alienation Syndrome - PAS) leiden, auf Anordnung des Gerichtes beim entfremdeten Elternteil wohnen bzw. diesen besuchen sollten, ist ein wesentlicher Streitpunkt unter Juristen und Fachleuten für psychische Gesundheit.
Die vorliegende Verlaufsstudie des amerikanischen Kinderpsychiaters Prof. Dr. R. A. Gardner beschreibt 99 PAS-Fälle bei denen der Autor unmittelbar involviert war. In diesem Zusammenhang kam er zu dem Schluss, dass das Gericht den Umgang mit dem entfremdeten Elternteil oder den Hauptwohnsitz der Kindes bei diesem anordnen sollte. Die Ergebnisse in den Fällen in denen diese Anordnungen durchgeführt wurden (22), werden mit den Fällen verglichen, in denen dieser Empfehlung nicht entsprochen wurde (77). Die Ergebnisse der Studie können die interdisziplinäre wissenschaftliche Fachdiskussion und Forschung zum Problembereich PAS im Rahmen von Trennung/ Scheidung und die familiengerichtliche Praxis bei Sorgerechts und Umgangsentscheidungen anregen und ergänzen.

Inhaltsverzeichnis
Einführung durch den Herausgeber 7
Literatur zum Thema 17

RICHARD A. GARDNER
Sollten Gerichte anordnen, daß an PAS leidende Kinder den entfremdeten Elternteil besuchen bzw. bei ihm wohnen?
Eine Verlaufsstudie 23
Die Kernfrage: Sollte man auf PAS-Kinder Zwang ausüben? 33
Die Meinung der Fachleute für psychische Gesundheit 33
Der Standpunkt der Richter 35
Verlaufsuntersuchungen 39
Verlaufsuntersuchungen bei meinen eigenen Patienten 41
Patientenauswahl 41
Wer wurde zur Gewinnung von Verlaufsdaten angesprochen? 43
Welche Fragen wurden gestellt? 43
Ergebnisse 43
Zusammenfassung der Ergebnisse 86
Diskussion 87
Einschränkungen der Studie 88
Abschlußbemerkungen 89
Danksagung 90
Literatur 91

Informationen zum Parental Alienation Syndrome (PAS)

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