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Aus Aktuellem Anlass: Begutachtete Aufsätze in Fachzeitschriften und das Parental Alienation Syndrome.VfK Logo


Der Schreiber dieser Zeilen musste mit einigem Erstaunen (und Erschrecken) wiederholt feststellen, dass die in den "exakten" Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie, Physik für jedermann, auch in Deutschland, selbstverständliche Vorgangsweise bei Publikationen in Fachzeitschriften unter hiesigen Fachleuten aus der Psychologie und den Rechtswissenschaften weitgehend unbekannt ist. Diese im angelsächsischen Raum als "peer review" auch in letzteren Disziplinen bekannte Vorgangsweise soll deshalb hier erläutert werden. Der aktuelle Anlass sind Veröffentlichungen zum so genannten Parental Alienation Syndrome und einige Äußerungen die dazu von international anerkannten Fachleuten auf der gerade zu Ende gegangenen, gut besuchten Fachtagung in Frankfurt (mit  mehr als 300 Teilnehmern aus 14 Nationen) gefallen sind.  

Jede Zeitschrift muss selbstverständlich von einem Verlag und Herausgebern gestützt sein, die im wirtschaftlichen und presserechtlichem Sinne Verantwortung tragen. Darüber hinaus definieren sie, bei Fachzeitschriften allerdings meist ein Beirat herausragender Fachleute, das allgemeine Profil der Zeitschrift, welche Interessensschwerpunkte gesetzt werden sollen etc. Dieses Profil und der Qualitätsstandard der Publikationen sollten für den Autor einer ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Arbeit entscheidend dafür sein, bei welcher Zeitschrift er seine Arbeit zur Veröffentlichung einreicht, will er /sie doch erreichen, dass sie ein möglichst großes Echo in der engeren Fachkollegenschaft (den "peers") auslöst. Zu diesem Echo gehört nicht nur Anerkennung, sondern ganz wesentlich auch qualifizierte Kritik. Der wissenschaftliche Fortschritt lebt geradezu davon, dass man auf dem vorhandenen Wissensstand zwar aufbaut, aber sich mit diesem kritisch auseinander setzt. Daher muss von einer wissenschaftlichen Arbeit nicht nur aus Gründen der Fairness gefordert werden, dass sie die bereits vorhandene Literatur, soweit sie für das Thema direkt relevant ist, nicht nur vollständig zitiert, sondern dass diese Zitate im Kontext erfolgen, derart dass kritische, noch fragliche Punkte, aber auch abweichende Meinungen beleuchtet werden und klar erkennbar wird worin der eigentliche Fortschritt der vorgelegten Arbeit besteht.

Wenn man derartige Anforderungen an eine Veröffentlichung stellt, dann sollte es für jedermann klar sein, dass selbst herausragende Fachleute nicht imstande sind über das gesamte Spektrum einer Zeitschrift hinweg allein wirklich qualifiziert über die Annahme einer eingereichten Arbeit zu entscheiden. Die Qualität einer Arbeit kann nur jemand wirklich beurteilen, der selbst intensiv auf dem angesprochenen speziellen Fachgebiet gearbeitet hat, im Englischen eben ein "peer".  Daher bemühen sich renommierte Fachzeitschriften darum ein möglichst umfangreiches und breit gestreutes "Reservoir" von international anerkannten Fachleuten aufzubauen denen die eingereichten Arbeiten vor einer Annahmeentscheidung zur Begutachtung vorgelegt werden können. Darüber zu entscheiden wer unter diesen Fachleuten für die Begutachtung einer vorgelegten Arbeit am besten geeignet ist erfordert vom Redakteur / Schriftleiter (englisch, "editor") selbst schon ein nicht unbeträchtliches Maß an allgemeinem Fachwissen. Es ist natürlich nahe liegend, dass nicht selten jemand um eine Begutachtung gebeten wird, der selbst in der vorgelegten Arbeit zitiert ist. Aber auch in diesem Fall wird vom Gutachter (englisch "referee") absolute Sachlichkeit erwartet und, dass er / sie die (praktisch immer unbezahlte) Tätigkeit ausschließlich als Dienst an der Wissenschaft sieht. Erwartet wird natürlich auch, dass sich jemand selbst disqualifiziert, wenn Interessenskonflikte bestehen sollten oder doch nicht genügend aktuelles Spezialwissen vorhanden ist. Besonders bei Zeitschriften die sich auf die rasche (und deshalb kurz gefasste) Veröffentlichung wesentlicher neuer Forschungsergebnisse von breitem Interesse spezialisieren und deshalb besonders restriktiv bei der Annahme von Arbeiten vorgehen müssen, werden auch gleichzeitig und unabhängig von einander mehrere "referees" beauftragt. Sollten deren Meinungen zu sehr von einander abweichen, oder sollten die Feststellungen eines "referees" zu allgemein, unkritisch, nichtssagend sein, ist es durchaus üblich diese Gutachten und die eingereichte Arbeit weiteren Fachleuten zur Stellungnahme vorzulegen, im Falle eines erheblichen Konfliktes eventuell auch noch einem eigens dafür designierten Redaktionskommittee.

Was ganz wesentlich zur Qualitätssicherung beiträgt ist, dass in diesem Begutachtungsprozess nicht nur möglichst objektiv nach Gültigkeit, Wichtigkeit und Interesse über die Annahme einer Arbeit zur Veröffentlichung entschieden werden soll, sondern dass dem Autor möglichst detailliert mitgeteilt wird, an welchen Stellen die Arbeit noch verbessert werden könnte, oder auch muss, bevor sie für eine Veröffentlichung in Frage kommt. Das kann sowohl den Inhalt als auch den Stil der Arbeit (Lesbarkeit) betreffen. Der Autor wird aufgefordert zum Gutachten Stellung zu nehmen und seine Korrekturen an der Arbeit darzulegen. Es ist wichtig zu betonen, dass derartige von den Gutachtern vorgeschlagene Verbesserungen oder geforderte Korrekturen zum Normalfall gehören und im anderen Fall zunächst sogar geprüft werden muss, ob sich der Gutachter seine Arbeit nicht doch zu leicht gemacht hat. Die meisten Fachzeitschriften bestehen aus verständlichen Gründen darauf, dass die Begutachtung gegenüber dem Autor anonym erfolgt, also das Gutachten diesem ohne Namensnennung zugestellt wird, aber auch dass der Gutachter nicht von sich aus Kontakt mit dem Autor aufnimmt. Nur bei einigen wenigen Zeitschriften werden die Gutachter ermutigt der Namensnennung in einer Danksagung des Redakteurs, als Abschluss der Veröffentlichung, im nachhinein zuzustimmen, was wiederum im Sinne einer Qualitätssicherung (diesmal beim Gutachter) geschieht.

Wissenschaftler die mit diesem hier beschriebenen System vertraut sind unterscheiden sehr genau zwischen Arbeiten die auf diese Weise vor einer Veröffentlichung kritisch von Spezialisten begutachtet wurden und anderen Arbeiten die ohne diese strenge Beurteilung, oder wie es ein amerikanischer Psychologe / Wissenschaftler auf der Tagung in Frankfurt drastisch ausdrückte, in so genannten "chitchat" (Geschwätz) - Zeitschriften erscheinen. Sie überlegen sich wegen des sehr unterschiedlichen Prestiges sehr genau, ob es sich für sie überhaupt lohnt sich an letzterem zu beteiligen, und das obwohl der Weg zu einer Publikation damit leichter und meist auch kürzer wäre. Ein wesentlicher Grund ist natürlich auch, dass eine in einer sehr renommierten Zeitschrift veröffentlichte Arbeit wahrscheinlich weit häufiger zitiert wird und andere Arbeiten intensiver befruchtet als eine obskure, schwer zugängliche Veröffentlichung. Ob allerdings ein so genannter "citation index" über die Häufigkeit solcher Zitate wirklich die Qualität einer Veröffentlichung misst mag dahingestellt bleiben.

Auch an Veröffentlichungen im Bereich der Psychologie, Psychiatrie und Rechtswissenschaft sollte man im vermehrten Maße derartige Anforderungen an Wissenschaftlichkeit stellen. Vieles würde dann nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken und so die Konzentration auf das Wesentliche und tatsächlichen Fortschritt erleichtern. Das gilt insbesondere für das jetzt in Deutschland heiß und sehr kontrovers diskutierte Thema, dem Parental Alienation Syndrom (PAS), das zu diesen Kommentaren Anlass gab. Es ist schon sehr bedauerlich, dass sich eine renommierte juristische Fachzeitschrift für so einseitige und extrem polemische Veröffentlichungen, wie jüngst die von Carol S. Bruch [als Übersetzung in FamRZ 2002 (19), 1304-1315] hergibt und so selbst zu einem "chitchat journal" zu verkommen drohen würde, wenn sie nicht vor allem wegen der Veröffentlichung aktueller Gerichtsentscheidungen bedeutend wäre. Allein schon die Tatsache, dass es in diesen langen Aufsatz in erster Linie um Fragen aus der Psychiatrie / Psychologie geht, für die sich die Autorin aber, ihrer selbst veröffentlichten Biografie nach, nicht einmal durch praktische Erfahrung als Rechtsanwältin oder Richterin qualifiziert hat, und dementsprechend ihre Argumente mit  Zitaten aus "chitchat journals" und sogar Zeitungsartikeln gleichermaßen ,,untermauert", hätte die Herausgeber zur Vorsicht mahnen müssen. Die Herausgeber waren darüber hinaus, wie in den Unterlagen der Frankfurter Tagung nachzulesen ist, rechtzeitig auf die besonders angesichts der unqualifizierten und sehr persönlichen Angriffe bewundernswert und erstaunlich zurückhaltende, sachliche Erwiderung von Richard Gardner selbst (deutsche Übersetzung), sowie die des promovierten Psychologen (Ph.D) und  promovierten Juristen (J. D.) Demosthenes Lorandos (
deutsche Übersetzung) aufmerksam gemacht worden ( s. auch Homepage von R. A. Gardner***). Ob der unsachliche, nur polemische Aufsatz von Frau Bruch allerdings überhaupt die Aufmerksamkeit einer Gegendarstellung verdient, mag dahingestellt bleiben. Wir meinen, eher nicht. 

   Die wohl wichtigste professionelle psychologische Datenbank, PsycInfo, der American Psychological Association (APA) unterscheidet bei jedem Eintrag zwischen "peer reviewed" oder nicht und berücksichtigt bei Zeitschrriften praktisch nur Aufsätze der ersteren Kategorie. Allein zum Suchbegriff ,,parental alienation syndrome" im engen Sinne findet man derzeit dort an die 175 Einträge, Dissertationen und Bücher allerdings eingeschlossen, die im allgemeinen, obwohl auch begutachtet, nicht den bei Zeitschriften üblichen "peer review " Prozess durchlaufen. Aus Deutschland hat  zu PAS bisher nur eine einzige Arbeit, weil "peer  reviewed", direkt Aufnahme gefunden und eine andere  als "peer reviewed" in der spanischen Übersetzung. Die dem oben erwähnten Artikel von C. Bruch in FamRZ  die zu Grunde liegende Originalarbeit, Parental Alienation Syndrome and Alienated Children-Getting it Wrong in Child Custody Cases, Family Law Quarterly, 14, 381-400, 2002 hat keine Aufnahme gefunden, obwohl 3 frühere Aufsätze dieser Autorin zu kindschaftrechtlichen Themen  (Mediation) als "peer reviewed" unter der insgesamt gewaltigen Zahl von Einträgen zum Themenkreis Trennung / Scheidung, auch aus juristischen Zeitschriften und juristischer Sicht, enthalten sind.     


Auch wenn man der Meinung ist, dass Richard Gardner der den Begriff Parental Alienation Syndrom für Erfahrungen aus seiner klinischen Praxis prägte, nicht unwesentlich selbst zur Kontroverse um dieses Thema und vielleicht sogar zur (teilweise allerdings über das Erträgliche hinausgehenden) Kritik an seiner Person beigetragen hat, so muss man ihm zubilligen, dass er die Wichtigkeit eines möglichst strengen wissenschaftlichen Kriterien genügenden Umgangs mit diesem Thema zu würdigen weiß. Das zeigt sich schon deutlich an seiner strengen, hier gerade ausgeführten Unterscheidung zwischen Veröffentlichungen die einem "peer review" Prozess unterworfen waren oder nicht, wie sie aus seiner Webseite ersichtlich ist, und dies obwohl er sich an beiden beteiligt hat, einschließlich der Veröffentlichung von Büchern in seinem eigenen Verlag, was ihm auch immer wieder vorgeworfen wird. Er hat diese Unterscheidung auch auf der Frankfurter PAS Tagung verdeutlicht und sehr eindringlich auf die Notwendigkeit eines vermehrt strengeren wissenschaftlichen Kriterien genügenden Umgangs mit diesem Thema, mit entsprechenden Untersuchungen und Publikationen, hingewiesen, damit PAS etwa wirkliche Chancen hat in die nächste Ausgabe des in der amerikanische Psychiatrie maßgebendes Diagnostiscs and Statistics Manual's, DSM V aufgenommen zu werden. Einher mit der unsäglichen, absolut fruchtlosen, aber jetzt auch in Deutschland mit nicht wenigen Jahren Verzögerung heftig geführten Diskussion, ob es sich bei PAS um ein Syndrom handelt, geht ja meist der Vorwurf, dass PAS bisher nicht in DSM (IV) oder dem in Europa benützten Äquivalent der WHO (ICD 10) enthalten ist.

Neben weiterer, größtenteils von einseitigen gesellschaftlichen Interessen motivierter Kritik am PAS Konzept und ähnlichem gibt es natürlich auch ernst zu nehmende Einwände, die die exakte Formulierung des Konzepts betreffen (dazu hat sich auf der Frankfurter Tagung der bekannte Psychotherapeut und Buchautor Helmuth Figdor, Wien, aus psychoanalytischer Sicht sehr ausführlich geäußert), sowie vor allem den Mangel an allen streng wissenschaftlichen Kriterien genügenden empirischen Untersuchungen und darauf fußenden Publikationen. Empirische Untersuchungen sind nicht nur in Fachgebieten möglich und wichtig die, wie die Physik und Chemie, mit lebloser Materie zu tun haben, sondern auch im Bereich der Humanwissenschaften, trotz der ethischen Einschränkungen die hier selbstverständlich erforderlich sind und einer wesentlich auf Statistik angewiesenen Methodik. Erkenntnise in den Humanwissenschaften gehen zunächst sehr oft von Alltagserfahrungen der allgemeinen Bevölkerung und / oder dann, wie auch Gardner speziell zum PAS Konzept erläutert, aus klinischer Erfahrung hervor. Bei letzterer handelt es sich aber immer um eine spezielle Gruppe von unter Leidensdruck stehenden Patienten oder Klienten, was im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung die Notwendigkeit von Kontrollgruppen aus der allgemeinen Bevölkerung untermauert.
 
Die Kunst besteht nun darin aus dieser alltäglichen oder klinischen Erfahrung Feststellungen und Fragen abzuleiten die mit wissenschaftlichen Methoden bestätigt oder verneint (falsifiziert) werden können, statt für eine empirische Überprüfung unzugänglich zu sein oder tautologisch, d. h. von vornherein und trivialerweise wahr zu sein. Es gehört zu den bleibenden Eindrücken des Schreibers dieser Zeilen aus seiner Studienzeit, wie in den Grundvorlesungen zur Psychologie exakt nach dieser Methodik vorgegangen wurde und der größte Teil der Zeit auf eine solche präzisieende Fragestellung und den darauf beruhenden Experimententwurf verwandt wurde. (Natürlich umfasst die praktische Tätigkeit eines Psychotherapeuten oder Arztes ganz andere sehr wesentliche Dinge, wie die Fähigkeit zuzuhören, Gesprächskultur und Empathie, die mit dieser Methodik nichts zu tun haben und von ihr auch nicht erfasst werden können.) Die Formulierung einer solchen konstruktiven Fragestellung und darauf beruhende, allen wissenschaftlichen Kriterien genügende empirische Untersuchungen wäre bei PAS sicher noch wünschenswert, zusätzlich zu den schon vorhandenen empirischen Studien, wie z. B. der sehr umfangreichen von Clawar und Rivlin, oder den Untersuchungen in Deutschand von Napp-Peters (1995) und zum kriegsbedingten Väterverlust von  Franz (1999). Dass dies möglich ist, zeigt zum Beispiel sehr eindrucksvoll die empirische Forschung zu Gedächtnis und scheinbarer Erinnerung, wie sie z. B. so ausgezeichnet in dem Buch ,,Jeopardy in the Courtroom. A Scientific Analysis of Children's Testimony" (American Psychological Association, 1995) der renommierten Forscher Stephen J. Ceci und Maggie Bruck dargestellt ist, oder auch, unter Mithilfe journalistisch erfahrener Koautoren, populärwissenschaftlicher in den auch auf Deutsch erschienenen Büchern: Elizabeth Loftus, Katherine Ketcham, Die therapierte Erinnerung. Vom Mythos der Verdrängung bei Anklagen wegen sexuellen Mißbrauchs, Klein, 1995; Richard Ofshe, Ethan Watters, Die mißbrauchte Erinnerung. Von einer Therapie die Väter zu Tätern macht, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1996.

R. Christopher Barden (promovierter Psychologe und promovierter Jurist, Ph.D., J. D.) hob auf der PAS Tagung in Frankfurt sehr eindringlich hervor, wie mit diesen wissenschaftlichen Methoden in den USA dem leider, wie üblich, mit einigen Jahren Verzögerung auch auf Deutschland übergeschwappten und bei uns sogar mit öffentlichen Geldern (!!) geförderten Spuk angeblich verdrängter Erinnerungen an sexuellen Missbrauch und in Folge gespaltener Persönlichkeit, etc. sehr rasch und wirksam ein Ende gemacht wurde. Allerdings waren schon zahllose Familien durch eine regelrechte Industrie von Psychotherapeuten und Spezialkliniken die sich auf das "Zurückbringen" angeblicher frühkindlicher Erinnerungen, als der Quelle aller psychischen Probleme junger Erwachsener (fast immer Frauen) spezialisiert hatten, zerstört worden. (Das tatsächlicher sexueller Missbrauch schwerwiegende, oft lebenslange psychische Folgen beim Opfer haben kann, wird selbstverständlich nicht bestritten.) Das war sehr überzeugend, selbst wenn er darauf verzichtete, auch nur zu erwähnen, dass er selbst erfolgreich Opfer therapierter Erinnerungen vor Gericht vertreten hat, denen dann, häufig in einer außergerichtlichen Einigung, Schadenersatz sogar bis zu 10.6 Millionen US $ zugesprochen wurde. Er plädierte dafür mit ähnlichen wissenschaftlichen und interdisziplinären Methoden auch der Kontroverse um PAS zu begegnen, und das auch im Gerichtssaal. Allerdings ist zu bedenken, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Gerichtssystemen der USA und Deutschland bestehen. 

Ganz anders als bei uns hat man bei U.S. Familiengerichten selbstverständlich das Recht Zeugen und Sachverständige beizubringen und auch die der Gegenpartei, sowie vom Gericht beauftragte Sachverständige einem Kreuzverhör zu unterziehen (Vgl. dazu unsere Berichte über Kindesanhörung). Darüber hinaus gibt es bei U.S. Gerichten explizite und strenge Kriterien für die Zulässigkeit von Sachverständigenaussagen. Das bekannteste ist der sog. Frye test ( Frye v. United States, 1923) den auch Gardner bzgl. PAS wiederholt erwähnt. Der Frye test fordert, dass Expertenaussagen auf Prinzipien beruhen, die von der relevanten Wissenschaftsgemeinde allgemein akzeptiert werden. Im Jahre 1993 hat sich der U.S. Supreme Court (Bundesverfassungsgericht) im Falle Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals erneut und sehr ausführlich mit der Zulässigkeit von Expertenaussagen befasst und die Kriterien erweitert. Dazu gehört explizit und ganz wesentlich, dass die Auffassungen des Experten Gegenstand von "peer review" und Publikation waren. Dazu gehört auch als ganz wesentliches Kriterium für eine wissenschaftliche Aussage das Prinzip von Karl Popper, nämlich der Überprüfbarkeit derart, dass auch eine Falsifikation möglich sein muss. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit hat das Gericht ausschließlich auf die vom Experten angewandten Prinzipien und Methoden zu fokussieren, völlig unbeachtlich der sich daraus für den konkreten Fall ergebenden Schlussfolgerungen. Es gibt in den USA sowohl sehr ausführliche Federal Rules of Evidence als auch entsprechende Kriterien der einzelnen Bundesstaaten (auf Frye, Daubert, ... basierend) für die Zulässigkeit von Zeugen / Experten Aussagen bei Gericht. 

Ein auf der PAS Tagung anwesender, sehr erfahrener Familienrechtsexperte äußerte sich (verständlicherweise) sehr skeptisch zu Hoffnungen, dass sich solche Methoden der Wahrheitsfindung in absehbarer Zeit auch bei deutschen Familiengerichten durchsetzen würden. Einseitige, nur polemische Aufsätze,  wie der von Bruch in der führenden deutschen Familienrechtszeitschrift dienen der Sache jedenfalls bestimmt nicht. Nötig wären vielmehr auch in Deutschland vermehrt Studien die allen strengen wissenschaftlichen Kriterien genügen und dementsprechend auch einem "peer review" auf internationaler Ebene standhalten.

N. B.: Übrigens liegen mir im Augenblick sogar gleich 3 bei international führenden Fachzeitschriften eingereichte Arbeiten zum "peer review" vor, davon eine in revidierter Fassung, zusammen mit dem bei dieser besonders restriktiven Zeitschrift zur Erstversion routinemäßig gleichzeitig angeforderten zweitem Gutachten und der Stellungnahme des Autors. Die beiden Gutachten, obwohl unabhängig voneinander erstellt, stimmen in ihren Kernaussagen völlig überein. Wären sie bzgl. der Tauglichkeit der Arbeit zu wesentlich unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen, wäre sofort alles einer dritten Person zur Begutachtung vorgelegt worden.

Nachtrag  30.8.2006: Eine detaillierte Kritik des Aufsatzes von Carol Bruch und, allgemeiner, eine Stellungnahme zu persönlichen (ad hominem) Angriffen, statt sachlicher Kritik ist in der Arbeit von Richard A. Warshak, Eltern-Kind-Entfremdung und Sozialwissenschaften.  Sachlichkeit statt Polemik, Zentralblatt für Jugendrecht 5, 2005, Seiten 186-200, enthalten. Wahrlich abstoßend  ist, dass diese Art von Kritik an Richard Gardner selbst nach dessen Tod (25.5.2003) noch weiter geht.

Ebenfalls zu dem hier vorgebrachten Thema Wissenschaftlichkeit / Sachlichkeit und den entsprechenden Kriterien hat sich der promovierte Jurist und Psychologe Demosthenes Lorandos geäußert: Parental Alienation Syndrome: Detractors and the Junk Science Vaccum, International Handbook of Parental Alienation Syndrome (2006), S. 397-418.  Enthalten darin ist  eine ebenfalls wahrlich vernichtende Kritik des Aufsatzes von Carol S. Bruch (vgl. deutsche Übersetzung einer früheren Version aus 2002), der "dank" der Veröffentlichung in FamRZ 2002, leider auch schon, wie zu erwarten war, Eingang in deutsche Gerichtsurteile gefunden hat.

                                                                                                                                                                                                                  Christian T. Dum, Ph.D.

*** Nachtrag Juli 2007: Die Homepage von R. A. Gardner (verstorben 25.5.2003) wurde geschlossen. Obiger link führt deshalb jetzt auf Webseiten von R. A. Warshak. Arbeiten von R.A. Gardner sind jedoch auch auf zahlreichen anderen Webseiten zu finden.

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